Autor: Wolfram Latschar

  • Im E-Commerce gelernte Kundenerwartungen als Treiber für den Stationärhandel

    Der stationäre Einzelhandel funktionierte bisher vor allem durch das Angebot von Wahlmöglichkeiten bei den Kunden: Bei Aldi finden sich die günstigsten Preise, bei Kaufhof die größte Auswahl und bei einem Gucci-Flagshipstore ein überragender Kundenservice. Das Geschäftsmodell gedieh vor allem dann besonders gut, wenn der Einzelhändler eine dieser Sichtachsen (Preis, Sortimentsbreite-/tiefe, Service) besonders forcierte und sich in der Kundenwahrnehmung als führend auf dieser Achse darstellte.

    Niemand geht z.B. zum Aldi und erwartet dort ein breites Sortiment und exzellenten Service, aber die Kunden erwarten die günstigsten Preise. Dagegen zahlen die Kunden im KaDeWe gerne einen Preisaufschlag, um Marken und Produkte zu finden, die sich sonst kaum in deutschen Läden präsentieren. Soweit so gut, nun das heutige Problem: Die Kunden ändern sich, mehr und mehr Kunden geben sich damit nicht mehr zufrieden und wollen alles aus einer Hand. Gelernt haben sie diese Anspruchshaltung online bei Amazon & Co.

    Die Kunden weigern sich die vermeintlich in Stein gemeisselten Abgrenzungen zwischen „Top Preis vs. breiter Auswahl vs. guter Beratung“ zu akzeptieren. Gelernt haben sie diese neue Erwartungshaltung vor allem online, d.h. im E-Commerce und verstärkt im Social Commerce. Angeführt durch Amazon hat es der E-Commerce geschafft die Erwartungshaltung der Konsumenten neu zu definieren. Diese sind durch Amazon daran gewöhnt, dass es nicht nötig ist ins Gewerbegebiet zu fahren, um bei miserablen Serviceniveau niedrige Preise zu bekommen. Die neuen Kunden bekommen diese Top-Preise in ihr Wohnzimmer geliefert, beraten durch tausende andere Nutzer und der bestellte Artikel ist als Prime-Kunde auch noch mit kostenfreiem Overnight-Express am nächsten Morgen da. Dieser Trend wird durch Amazon Marketplace noch verschärft: Ein Unterbieten der Amazon-Preise durch Dritte ist nicht nur gewünscht, sondern Amazon verpflichtet Marketplace-Händler sogar dazu die günstigsten Preise anzubieten.

    Um diesen Herausforderungen gewachsen zu sein, muss der stationäre Einzelhandel auch die ungeschriebenen Gesetze des eigenen Geschäftsmodells hinterfragen, z.B.:

    • Eine Einzelhandelskette, die sich vor allem durch überragenden Service und breites Sortiment differenziert, könnte das Abwandern von Kunden zu preisführenden Online-Wettbewerbern verhindern durch das Einführen von preisaggressiven Eigenmarken, die Kunden in Einstiegslagen abholen. Decathlon ist best practice in dieser Strategie.
    • Elektronikhändler können ihre starken Einkaufsbeziehungen zu Herstellern nutzen, um besonders innovative Technologien, die bei anderen (Online-)Händlern kaum verfügbar sind, früher (und idealerweise exklusiv) einzuführen und sich so dem harten Preisvergleich zu entziehen. Best Buy verfolgt erfolgreich diese Strategie, z.B. mit der Einführung von Google TV in den USA.
  • Business Model Explosion

    In der innovativen Speerspitze des E-Commerce explodiert aktuell die Bandbreite der Business Models. Insbesondere durch die Neuausrichtung des Commerce-Gedankens hin zu mehr Social Commerce. Die neuen Business Models fokussieren sich darauf online besser zu unterhalten, zu begeistern und zu inspirieren. Dadurch kann das vermeintlich ungeschriebene Gesetz des E-Commerce „Im Internet wird nicht geshoppt, sondern gezielt gekauft“ transformiert werden. Wesentliche Schwerpunkte in der Bandbreite der Business Models sind:

    • Woot / Live-Shopping / „one day – one deal – mit Betonung auf Deal, d.h. Verknappung, zeitliche Limitierung, knackiger Preis und Zielgruppen-affine Präsentation der Produkte“
    • Vente Privee / Club-Shopping / „Mix aus großen Marken, kleinen Preisen und Zeitdruck – garniert mit einer Prise vermeintlicher Exklusivität“
    • Groupon / Couponing / „Gutscheine für Friseure und Fitnessstudios – mit dem besonderen Hebel der nicht eingelösten Gutscheine und dem Nachteil des großen Anteils Muskelarbeit zum Aufbau des Geschäftsmodells“
    • QVC / Teleshopping / „Verkaufen über den Gartenzaun – man glaubt es kaum. Aber Mutti findet Glööckler wirklich vertrauenswürdig und kauft deswegen besonders viel und mit gutem Gefühl“
    • Swoopo / Preisdynamos / „Auktionen mit Gebotskosten erzeugen Mund-zu-Mund-Propaganda“
    • MyMuesli / Mass Customization / „Produkte zu 100% an den individuellen Bedürfnissen des Kunden ausrichten und Kunden in die Wertschöpfung einbeziehen“
    • Threadless / Crowdsourcing bzw. Open Innovation / „Auslagerung der wertschöpfenden Tätigkeiten an die Community – und diese sind begeisterte Designer und Verkäufer; kurz: 100% nutzergetrieben“
    • Dawanda / Neue Marktplatzkonzepte / „z.B. für handgemachte Unikate – mit dem besonderen Fokus auf Frauen als Online-Zielgruppe“
    • MyFab / Innovation im Geschäftssystem / „Kaufmännisch lukrative Vorabbestellungen kombiniert mit Innovation im Produktionsprozess – sozusagen die Prinzipien der Teekampagne online transformiert“

    Diese Explosion der Geschäftsmodelle ist Stand heute nur schwer zu überschauen und die Komplexität wird durch viel „Window dressing“ der Startups und Investoren stark erhöht. Es gibt leider keinen mir bekannten Ansatz, die neuen Entwicklungen im E-Commerce zu strukturieren. Dazu gehört auch eine einheitliche Sprache (Notation) um Business Models zu modellieren und zu strukturieren. Das Denken in Business Models und das Weiterentwickeln ebensolcher ist die große Chance dieser spannenden Zeit.

  • McKinsey kommt – jetzt auch in die E-Commerce Beratung

    Passend zum Theaterstück „McKinsey kommt“ agieren bei einigen der großen Themen im E-Commerce und MCR in letzter Zeit immer öfters die großen Strategieberatungen: Bei Media-Saturn und DHL MeinPaket.de die McKinsey-Truppe, bei angelsächsischen Multichannel-Retailern die Javelin Group und bei der Dohle Handelsgruppe ist Accenture aktiv.

    Diese Art der umsetzungsnahen Beratung ist eher untypisch für die großen Strategieberater; zeigt aber auch sehr gut den Strukturwandel, den die Berater-Branche gerade erlebt. Accenture Deutschlandchef bringt diesen im Handelsblatt auf den Punkt:

    „Alle klassischen Strategieberater wollen raus aus der Strategieecke“

    Auch der Branchenprimus McKinsey versucht mit stärker umsetzungsorientierten Themen wie E-Commerce bei den Vorständen zu punkten. Dazu hat die Unternehmensberatung das „McKinsey Capability Center“ eröffnet, in dem Fach- und Führungskräfte im Digitalen Marketing geschult werden. Laut FAZ bauten die Teilnehmer dabei für einen Weinhändler den Online-Shop auf und spielten anhand dessen die wesentlichen Strategie- und Operationsentscheidungen durch. Daneben kann der Mandant via McKinsey Solutions eine Analyse erhalten wie sich die Reputation des Unternehmens in sozialen Netzwerken verändert. Die Vorstellung des E-Commerce Benchmarking-Tools OMEX gemeinsam mit Google z.B. auf dem Europäischen Handelskongress zeigt, dass McKinsey auch den Weg in die E-Commerce-Beratung vorbereitet.

    Accenture profiliert sich mit einer der wenigen ernstzunehmenden Studien zum Multi-Channel-Retailing. Gemeinsam mit der GfK kommt Accenture zu den Schluss, dass Multi Channel Kunden „wertvoller“ als Einkanal-Kunden sind. Bestbuy macht mit Multichannel-Kunden bis zu 95% mehr Umsatz bei 80% mehr Marge. Diese Studie gibt auch einen wertvollen Hinweis auf eines der „Hidden Champions Sortimente im E-Commerce“: die Kinderkleidung, bei der fast 150 Prozent Wachstum in den nächsten Jahren prognostiziert wird. Vom inhaltlichen Reifegrad macht die Accenture Vorgehensweise für Multichannel Commerce den komplettesten Eindruck, schließlich beschäftigt Accenture sich schon seit mehreren Jahren mit dem Thema.

    Die Javelin Group wiederum punktet mit ihrem praktischen Know-How rund um Best Practices im Multi-Channel-Retailing in UK und USA. Benchmarks wie John Lewis oder Nordstrom zeigen wie man mit intelligenten und nützlichen MCR-Features bis zu 10% des Gesamtumsatzes online generieren und für das Gesamtunternehmen mehr Wachstum erzeugen kann.

  • Amazon – X-Mas Number Crunching

    Meine Zahlen zum Jahresende: Amazon hat mit schöner Regelmässigkeit auch dieses Jahr die Top-Verkaufszahlen fürs Weihnachtsgeschäft 2010 veröffentlicht. Die folgenden Zahlen beziehen sich übrigens ausschließlich auf den deutschen Ableger Amazon.DE:

    • Spitzentag bei Amazon.de war der 13. Dezember 2010: 2,1 Millionen Artikel bestellt, d.h. mehr als 24 Artikel pro Sekunde
    • Der verkaufsstärkste Tag in 2009 erreichte nur 1,7 Millionen Artikel (somit Steigerung zum Vorjahr um satte 19%)
    • Topseller 2010: DVD „Eclipse – Biss zum Abendrot“
    • Logistikseitig war der 20. Dezember der härteste Tag: An diesem Tag verließen über 1,4 Millionen Artikel in 374 LKWs die Logistikstandorte in Leipzig und Bad Hersfeld

    Die Weihnachts-Topseller in allen Kategorien und weitere spannende Zahlen finden sich bei InternetWorldBusiness.

  • Verkauf von Takko – Online-Shop auf Eis?

    Mit dem Verkauf des Textildiscounters Takko von Advent an Apax Partners ist einer der größten Trade-Sales 2010 abgeschlossen worden. Der Preis liegt bei 1,3 Milliarden Euro. Finanzinvestoren reichen Takko nunmehr zum dritten Mal an Kollegen weiter (Advent kaufte 2007 für rund 800 Mio Euro von Permira). Der Trade-Sale kommt doch etwas überraschend, da im Rahmen des Dual-Track-Verfahrens neben dem Verkauf auch ein Börsengang vorbereitet wurde, und bei IPOs in der Regel höhere Bewertungen erzielt werden können. Auf der anderen Seite analysiert die FTD treffend, dass Finanzinvestoren den Komplettverkauf bevorzugen und bei der aktuellen Börsenlage  können sie nur 50% der Anteile platzieren. Ähnliche Überlegungen gingen wohl auch dem Verkauf von Payback an AMEX voraus.

    Takko hat in Deutschland ca. 1.400 Filialen und setzt ca. 1 Milliarde Euro um. Takko konkurriert mit kik, Ernstings Family und NKD (die ich wiederum beim Ausrollen eines Online-Shops beraten durfte). Apax sieht bei Takko noch Flächenproduktivitätsreserven und Wachstumspotenzial – auch und gerade im E-Commerce!  Mit dem Store-Konzept 1982 attackiert Takko direkt H&M und Zara – mit preisaggressiven Basic-Teilen. Der Takko-Deal scheint somit die Speerspitze einer Renaissance der M&A-Deals zu sein.

    Durch den Eigentümerwechsel müssen Takko-Kunden wohl noch weiter auf einen Takko-Online-Shop warten (hier gab es ursprünglich einige Gerüchte). Via Fabeau.

  • Der virale Faktor im E-Commerce

    Der (laienhafte) Traum des viralen Marketings ist: Mit Null-Investment die Massen für das eigene Angebot im Netz begeistern. Häufig wird in Business Cases und – Plänen als Trafficbringer ein Treiber „virale Kampagne“ hinterlegt und fälschlicherweise angenommen, dass sich diese Viralität relativ unproblematisch als Add-On zu einem klassischen E-Commerce-Konzept realisieren lässt.

    Viralität muss aber in der DNA des Unternehmens / der Marke / der Plattform und den Produkten fest verdrahtet sein (= einprogrammierte Viralität)

    Diese Verdrahtung mit dem bestehenden Geschäftsmodell lässt sich in unterschiedlichen Reifegraden darstellen:

    1. Höchster Reifegrad: Plattform / Produkt so entwickeln, dass die Nutzer sie alleine dadurch verbreiten, dass sie sie nutzen (z.B. Hotmail-Fußzeile).  Auch Paper.li besitzt diesen höchten Grad der eingebauten Viralität.
    2. Mittlerer Reifegrad: Die Nutzer der Plattform / des Produkts wollen aus Eigennutz, dass andere User ebenfalls Plattform / Produkt nutzen (z.B. Skype, Social Networks). Durch das Weiterempfehlen an andere Nutzer wird Plattform / Produkt für mich als Empfehlenden Nützlicher.
    3. Niedrigster Reifegrad: Das Produkt ist mit Abstand besser als alle anderen Produkte am Markt und die Nutzer möchten ihren Freunden und Bekannten etwas Gutes tun, in dem sie dieses Produkt weiterempfehlen (z.B. Google).

    Unabhängig von dem Reifegrad geht es auch beim viralen Faktor um eine Emotionalisierung im E-Commerce: Nutzer glücklich machen und dadurch das Weiterempfehlungspotenzial kontinuierlich optimieren.

    Dialog pflanzt sich fort

    Den viralen Faktor im E-Commerce begünstigt der Dialog mit den Nutzern und Kunden auf der Plattform bzw. zu dem Produkt. Dazu muss man als Shop-Betreiber den Enthusiasmus der Kunden für Plattform / Produkt pflegen und entwickeln. Über „Social Media“, d.h. Blogs, Twitter & Co wird der einzelnen E-Commerce Betreiber in die Lage versetzt das „Tante Emma“-Prinzip zu skalieren: mit > 1.000 Menschen kommunikativ in Kontakt sein, einen persönlichen Draht aufbauen, ein gegenseitiges „Kennen“ Leuten zu hören, auf sie eingehen, sie Ernst nehmen. Durch Blogs & Co lässt sich Beziehungspflege skalieren.

    TOP-3-Quellen für belastbares Know-How zum viralen Faktor im E-Commerce:

    1. Video von Marin Oetting auf Live-Shopping-Days 2010 zum Thema „Der virale Faktor“.
    2. Blog von Martin Oetting: ConnectedMarketing.de (daher jetzt auch in der Blogroll aufgenommen).
    3. TOP-3-Bücher: Viral Loop, Ripple Effect und Anatomy of Buzz.