Logistik selber machen: Best Practices

Immer wieder finden sich, gerade bei Beratern und Ex-Beratern in E-Commerce Funktionen, die angebliche Binsenweisheit, dass Logistik doch nur eine Unterstützungsfunktion sei, die geradezu prädestiniert für ein Outsourcing sei. Die Geschichte geht dann so: Bei Wachstumsunternehmen ist die eigene Logistik der Masse der Bestellungen nicht mehr gewachsen, Professionalisierung tut Not. Und diese kann natürlich nur durch externe Profis kommen, sprich: Logistik- und Outsourcingpartner.

B2C-Logistik insourcen als Schlüsselfaktor für E-Commerce Geschäftsmodelle
Lesara-Lager mit links Packbereich, rechts Wareneingang, Retourenbearbeitung (Bildquelle: Dr. Thomas + Partner) 

Die Praxis zeigt nur genau das Gegenteil! Immer mehr E-Commerce Unternehmen setzen auf Inscourcing, insbesondere wenn die Orders durch die Decke gehen. Gerade dann zeigen nämlich viele Fulfillment-Dienstleister kritische Schwächen:

  • Keine Bereitschaft in gezielte (Teil-)Automatisierung zu investieren – denn diese lässt sich den anderen Mandanten am Multi-User-Standort nicht berechnen (Beispiel: Lesara) 
  • Die Berücksichtigung stark individueller Vorgaben für das Warenhandling, die sich häufig bei dem „one size fits all“-Ansatz nicht ausreichend wirtschaftlich abbilden lassen (Beispiel: mytheresa, die schon immer die Logistik genau aus diesem Grunde inhouse abgewickelt haben)

Mit welchen Dienstleistern, WMS-Systemen und eingesetzter Fördertechnik diese Unternehmen die Herausforderungen zu meistern versuchen, ist – mit ein bisschen Fleißarbeit – durchaus recht transparent zu erfahren …

Fakten zum neuen Logistikzentrum von Lesara in Erfurt: 

  • Zuvor Outsourcing via DHL Fulfillment am Standort Staufenberg; jetzt eigenes Logistikzentrum in Erfurt, Halle entwickelt durch Goodman 
  • Ca. 31.600 Quadratmeter Grundfläche, mit Picktower über mehrere Ebenen ergibt sich eine tatsächlich nutzbare Fläche von 60.000 Quadratmetern; Gesamt-Investition von ca. 40 Mio €     
  • Zentrales Warehouse für den Versand an Endkunden in 24 europäische Länder 
  • Versand / Outbound: durchschnittliche Pakete pro Tag bei ca. 33.000 – im Peak sollen Tagesleistungen bis zu 85.000 Paketen möglich sein – bei dem Tagesmittel ergibt das eine Stundenleistung von 5.000 Paketen im Outbound, im Peak bis zu 9.000 Paketen. Die genannten Peak-Zahlen sollen ab 2025 erreichbar sein    
  • Einlagerung von ca. 6 Millionen Teilen bei ca. 60.000 SKUs, was wiederum ca. 50% der insgesamt verfügbaren SKUs entspricht (Lesara spricht selber oft von 100.000 Artikeln, was aber mittlerweile etwas höher liegen sollte) 
  • Warehouse Management System (WMS): TUP.WMS mit integrierter Materialflussrechnung von Dr. Thomas & Partner. Das Besondere an diesem Setup ist sicher die Verknüpfung von WMS und Materialfluss aus einem Haus. Dadurch erspart sich Lesara dann doch das Fingerpointing zwischen Lagerplatzverwaltung & Kommissionierstrategie auf der einen Seite und Förder- und Automatisierungstechnik auf der anderen Seite. Allerdings lässt der Implementierungszeitraum von nur 5 Monaten die Hypothese zu, dass Lesara eher den Standard implementiert hat, denn hier noch tiefgreifende Individualisierungen platzieren zu können. Auf der anderen Seite ist es nur gut, wenn auch hier die E-Commerce Unternehmen einmal mehr die Industrie challengen, denn die aktuell teilweise astronomischen Projektlaufzeiten gerade im Bereich WMS sind nicht mehr tragbar. 
  • Die Kommissionierung erfolgt dabei noch recht klassisch durch Multi-Order-Batching – und werden aus dem 4-stöckigen Picktower wegeoptimiert gepickt. Recht spannend ist eine anschließende Konsolidierung der Batchbehälter mit Hilfe von Puffersystemen, so genannten Commissionern von Aberle. Die Auftragssteuerung allgemein erscheint sehr zeitgemäß: Die Aufträge, die in einen Batch eingehen, lassen sich über diverse Parameter festlegen. Zum Beispiel können zeitkritische Aufträge aufgrund definierter Cut-Offs oder anhand der hinterlegten Abzugszeiten von KEP-Dienstleistern entsprechend priorisieren.  40-50 Mitarbeiter bekommen gleichzeitig ihre Aufträge zugeteilt, die Software hat die Orders entsprechend zusammengestellt. Es wird auf eine zonenreine Kommissionierung zugunsten der Optimierung des Gesamtsystems verzichtet. 
  • Besonderer Fokus auf hohen Automatisierungsgrad: Wareneingang durch Vertikal Crossbelt-Sorter mit Durchsatz von ca. 3.100 Kartons / Stunde, Pick & Pack: Auftragskonsolidierung nach Multi-Order-Batching (siehe WMS) über zwei Commissioner und entsprechende Behälterfördertechnik, Versand: Horizontal Crossbelt Sorter    
E-Commerce Fulfillment: Lager selber betreiben
mytheresa Lager – hinten der dreigeschossige Picktower (Bildquelle: Aberle Solutions)

Fakten zum Lager von mytheresa in Kirchheim-Heimstetten bei München:  

  • Im Gegensatz zu Lesara mit seinem Best-of-Breed Ansatz, entschied sich mytheresa hier für einen eher klassischen GU-Ansatz mit Aberle
  • Grundfläche 16.000 Quadratmeter, durch den Picktower auf einem Teil der Fläche wird diese Fläche für die effektive Kommissionierung deutlich vergrößert (32.000 Quadratmeter). Diesem vorgelagert ist eine Retouren-Bearbeitung mit 20 Arbeitsstationen. 150 Mitarbeiter – allerdings inkl. Fotostudio & Styling
  • Überwiegend manuelles Handlung anstatt starke Automatisierung:  Einzig die Transporte der einzulagernden Ware und der kommissionierten Teile erfolgt über ca. 1 km lange Fördertechnik, die auch die verschiedenen Ebenen vernetzt. 
  • WMS: Auch hier kaum relevante IT-Unterstützung, da z.B. auch die Lagerplatzvergabe durch den Lagermitarbeiter selbst erfolgt. Angeblich fördert dies die Qualität und schont die Ware – allerdings erfolgt die Einlagerung mittels standardisierter Behälter (damit diese eben auf die Fördertechnik gestellt werden können). Daher schon eher fraglich, warum wenigstens die Lagerplätze nicht durch das System vorgegeben werden könnten. 
  • Sicherlich lässt sich so natürlich teure Software einsparen, was sich auch beim Picking selbst zeigt. Hier kommt eine eigenentwickelte App zum Einsatz, auf der die Picklisten angezeigt werden. 
  • Die fertig kommissionierten Behälter werden dann über die Fördertechnik zu den Versand- und Verpackungsstationen transferiert. 
B2C-Logistik selber machen als Trend im E-Commerce Fulfillment
Vielen Dank für das Lesen bis hierher 🙂 (Bildquelle: Aberle Automation)

Kommentare sind deaktiviert.

Nächster Beitrag:

DHL macht es wie Amazon Logistics

DHL macht es wie Amazon Logistics